Eingesperrt

Verfasst: 2019

Wörter: ~3000

Dieser Text wurde 2021 überarbeitet. Hier ist die ursprüngliche Fassung.

 

Mit einem ohrenbetäubenden Knall schloss sich die Stahltür hinter ETA. Sie fuhr zusammen und vergrub das Gesicht in den Händen. Alles war so schnell gegangen, eben war sie noch zuhause bei ihren Eltern. Dann waren die Beamten in Uniform eingetroffen. Sie hatten sie geschnappt und von ihrer Familie weggezerrt. ETA konnte sich nur mehr an die Tischkante erinnern, an der sie sich vergeblich festhalten wollte. Die Entführung war zu chaotisch, um Details davon verarbeiten zu können. Es gab nun kein Entrinnen mehr. Ihr Geheimnis war aufgeflogen.
ETA wusste kaum etwas von diesem Ort. Er galt offiziell als normales Gefängnis, doch das widersprach allem, vor dem ihre Eltern gewarnt hatten. Lange war sie den Fahndungen der Regierung entronnen, sie hatte sogar ein friedliches Leben führen können. Doch jetzt war es zu spät. Sie könnten ihr hier alles Denkbare antun. Eines war aber ganz sicher: der Grund, warum sie hier war. Es war gegen das Gesetz, als Mensch mit Flügeln aufzuwachsen.
Nachdem sich ihr Herzschlag allmählich beruhigt hatte, warf ETA einen Blick auf ihre Umgebung. Das Zimmer wirkte aufgrund seiner länglichen Form nicht besonders groß. Es besaß ausschließlich schmucklose Möbelstücke, darunter Regale, ein Bett, eine Sanitärzelle und ein Tisch. In einem offenen Schrank befanden sich Reinigungs- und Sportutensilien. Nur ein einziges vergittertes Fenster war hier zu finden. Daneben stand ein Monitor in einer speziellen Bauweise, die ETA bisher nur in der Bibliothek in ihrer Heimat zu Gesicht bekommen hatte.
Die mächtigen Flügel an ihrem Rücken schmerzten. Sie wollte sie ausbreiten, doch der winzige Raum ließ es nicht zu. Wenigstens schaffte sie es, ihre Flügel einzeln auszustrecken. Komfort sah anders aus, den hatte sie aber auch nicht erwartet. Mit hängenden Schultern ging sie zum Bildschirm. Was hatte der hier verloren? Sie musterte die matte Anzeigefläche. Ein unheilvolles Logo prangte darauf:


 

 

* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *

*                                             *

*     T I E R H E I F - G E F Ä N G N I S     *

*                                             *

*  K O M M U N I K A T I O N S M O N I T O R  *

*                                             *

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Benutzerprofil von ETA wird erstellt…

 

Erfolgreich.

 


Hinweis:

 

Sie befinden sich im obersten Stockwerk des Tierheif-Gefängnisses. Dies ist eine spezielle Einzelzelle, die für dauerhaften Aufenthalt vorgesehen ist. Aus diesem Grund gehört ein Kommunikationsmonitor zur Ausstattung. Damit können Sie mit anderen Insassen Textnachrichten austauschen. Beachten Sie, dass jede gesendete Nachricht von unserem Personal überprüft wird.

 


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ETA hob die Augenbrauen. Womit hatte sie diesen Luxus verdient? Der Monitor war der wertvollste Gegenstand in diesem Raum: Er würde sie bei Verstand halten und für Abwechslung sorgen. Aber was sollte das alles? Wozu forschte man sie auf diese Weise aus? Es nutzte nichts, nach einer Antwort zu grübeln. ETA blieb ohnehin nichts anderes übrig, als jede Maßnahme zu nutzen, die ihr zur Verfügung stand. Sie atmete tief ein und schickte ihre erste Nachricht ab.

 


>ETA:
Hallo?
[01.05.2418,16:35]

 

>LIA:
Hallo, ETA!
[01.05.2418,16:36]

 

>DOR:
Willkommen!
[01.05.2418,16:36]

 

>JYM:
Hey.
[01.05.2418,16:38]

 

>LET:
Wie schön, dass wir neue Gesellschaft bekommen!
[01.05.2418,16:39]

 

>SOG:
Willkommen an diesem furchtbaren Ort, ETA! Versuche, das Beste daraus zu machen. Ich hoffe, du bist von deiner Festnahme nicht zu sehr mitgenommen.
[01.05.2418,16:39]

 

>ETA:
Danke. Um ehrlich zu sein, ging es mir nie schlechter.
[01.05.2418,16:42]

 

>LIA:
Denke immer positiv, ETA. Dann erscheint die Gefangenschaft nicht mehr so schlimm. Ich kann mir gut vorstellen, wie es dir gerade geht. Lass dich bloß nicht von schlechten Gefühlen überwältigen. Wir sind immer da, um dich aufzumuntern.
[01.05.2418,16:44]

 

>ETA:
Das ist sehr nett von dir, LIA!
[01.05.2418,16:45]

 

>LIA:
Kein Problem. Du kannst uns jederzeit Fragen stellen.
[01.05.2418,16:45]

 

>ETA:
Wie geht es euch gerade? Ich will wissen, wie es sich auf Dauer in so einer Zelle leben lässt.
[01.05.2418,16:48]

 

>SOG:
Du brauchst dich nicht um uns sorgen. Konzentriere dich möglichst auf dein eigenes Wohlbefinden. Mit diesen Monitoren können wir uns gegenseitig beistehen und unsere Gedanken austauschen.
[01.05.2418,16:49]

 

>DOR:
Das stimmt. Wenn wir zusammenhalten, bezwingen wir die Einsamkeit.
[01.05.2418,16:51]

 

>ETA:
Danke für eure Unterstützung! Alleine könnte ich es hier auf Dauer wohl kaum aushalten. Wenn ich aus meinem Fenster schaue, sehe ich einen Urwald. Das ist wirklich gemein. Wieso baut man ein Gefängnis direkt neben dem Dschungel? Da bekomme ich sofort Sehnsucht nach Freiheit.
[01.05.2418,16:55]

 

>LIA:
Diesen Urwald können wir alle sehen. Wir sind im selben Stockwerk!
[01.05.2418,16:57]

 

>JYM:
Ich sehe keinen Urwald. Nur eine graue Mauer.
[01.05.2418,16:58]

 

>SOG:
JYM und ich sind im Gebäudeabschnitt gegenüber von dir, ETA. Man sieht den Dschungel nur von deiner Seite, weil das Gebäude von oben gesehen eine U-Form hat. Und LIA hat recht, wir sind alle im obersten Stockwerk untergebracht.
[01.05.2418,17:00]

 

>ETA:
Heißt das, ihr könnt mich sehen? Wo genau seid ihr?
[01.05.2418,17:04]

 

>DOR:
Ich muss dich leider enttäuschen. Unsere Fenster sind nicht nur vergittert, sondern auch verspiegelt. Wenn das nicht so wäre, könnten wir uns zuwinken.
[01.05.2418,17:05]

 

>JYM:
Wir sehen rund um die Uhr kein einziges menschliches Gesicht. Es ist deprimierend.
[01.05.2418,17:07]

 

>ETA:
Kein einziges? Aber wie bekommen wir dann unser Essen?
[01.05.2418,17:08]

 

>SOG:
Jeden Tag gibt es drei Mahlzeiten, die durch die kleine Schleuse in der Zellentür zu dir gelangen.
[01.05.2418,17:10]

 

>ETA:
Das ist gut zu wissen. Und wir dürfen wirklich nie raus?
[01.05.2418,17:12]

 

>DOR:
Ich sage es nur ungern, aber das ist eben der Sinn einer Gefängniszelle. Davon darfst du dich aber nicht einschüchtern lassen. Am wichtigsten ist, einen klaren Kopf zu behalten.
[01.05.2418,17:15]

 

>ETA:
Ich werde mein Bestes versuchen. Aber wie soll ich hier auf Dauer leben? Ich will gar nicht hier sein, sondern zurück zu meinen Eltern. Sie konnten sich nicht einmal von mir verabschieden.
[01.05.2418,17:20]

 

>DOR:
Deine Eltern sind sehr stark. Sie haben dich trotz deiner Flügel aufgezogen. Dein Leben war ihnen mehr wert als das Risiko, entdeckt zu werden.
[01.05.2418,17:22]

 

>ETA:
Woher weißt du von meinen Flügeln?
[01.05.2418,17:24]

 

>DOR:
Wir sind alle wegen unserer Flügel hier.
[01.05.2418,17:24]

 

>SOG:
So ist es. Diese Einzelzellen sind nur für uns gedacht. Die genaue Anzahl der geflügelten Personen ist unbekannt, aber sobald eine von ihnen erwischt wird, landet sie hier. Die allgemeine Bevölkerung weiß nichts davon, aber das ist dir sicher schon lange bewusst.
[01.05.2418,17:25]

 

>ETA:
Ich verstehe.
[01.05.2418,17:28]

 

>LIA:
DOR, hast du wieder Lust, ein neues Wörtersuchrätsel zu erstellen?
[01.05.2418,18:15]

 

>DOR:
Gerne! Gib mir ein paar Minuten Zeit.
[01.05.2418,18:16]

 

>LIA:
Danke, ich bin schon gespannt!
[01.05.2418,18:16]

 

– – –

 


>JYM:
Ich habe wieder schlecht geschlafen. Keine Ahnung, wieso.
[02.05.2418,08:16]

 

>SOG:
Traum vom 2.5.18:
Ich betrat einen verborgenen Keller. Er führte in eine endlose Bibliothek mit gigantischen Regalen, die wie Hochhäuser an beiden Seiten aufragten. Ich breitete meine Flügel aus und flog an den senkrechten Wänden vorbei. Anstelle von Büchern lebte hier eine ganze Gesellschaft. Die reichsten Leute waren bei den Regalen A und B untergebracht. Hier gab es luxuriöse Wohnungen und Einkaufszentren. Bei den restlichen Regalen des Alphabets herrschte jedoch Armut. Ich wollte herausfinden, warum der Reichtum dieser Welt so ungleich verteilt war. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass die Antwort auf meine Frage im Regal L zu finden war. Leider bin ich aufgewacht, bevor ich es erreichen konnte.
[02.05.2418,08:24]

 

>LIA:
LIAs Tagebuch, 2. Mai 2418 (Tag 487)
Heute habe ich wieder vom Dschungel geträumt. Ich war auf einer Lichtung mit bunten Schmetterlingen. Das hat mich so glücklich gemacht, dass ich gar nicht mehr aufwachen wollte.
Gestern hatten wir einen Neuzugang, ETA. Sie hat sich hier scheinbar gut eingelebt und schon viele Fragen gestellt. Das Verhalten erinnert mich an meine Zwillingsschwester, die mir unendlich fehlt. Ich finde ETA sehr freundlich.
[02.05.2418,08:35]

 

>ETA:
Das ist aber nett von dir, LIA! Ich wusste gar nicht, dass du schon so lange hier bist. Es ist bewundernswert, dass du immer so gut gelaunt bist.
[02.05.2418,08:50]

 

>LIA:
Gute Laune muss nicht immer ehrlich sein. Wenn man so tut, als wäre man glücklich, dann übersteht man die Gefangenschaft viel einfacher. Im Gegensatz zu mir sind manche schon seit geraumer Zeit hier eingesperrt.
[02.05.2418,08:55]

 

>ETA:
Wirklich? Darf ich wissen, wie lange ihr schon hier seid?
[02.05.2418,08:57]

 

>JYM:
Schon viel zu lange.
[02.05.2418,08:59]

 

>LET:
Keine Ahnung. Hab schon nach einem Monat aufgehört zu zählen.
[02.05.2418,09:00]

 

>DOR:
Den genauen Tag weiß ich nicht mehr. Es war jedenfalls im Winter vor zwei Jahren, als ich verhaftet wurde.
[02.05.2418,09:03]

 

>SOG:
Ich lebe hier seit zwei Jahren, acht Monaten und drei Tagen. Bei JYM sind es auch zwei Jahre, LET ist seit fast einem Jahr hier.
[02.05.2418,09:04]

 

>ETA:
Das ist ja furchtbar! Wann kommen wir hier wieder raus?
[02.05.2418,09:15]

 

>SOG:
Das weiß leider keiner von uns.
[02.05.2418,09:18]

 

>ETA:
Aber es muss doch einen Weg nach draußen geben! Ist denn noch nie jemand entlassen worden?
[02.05.2418,09:19]

 

>SOG:
Womöglich nur einer: ODE. Aber so sicher ist das nicht.
[02.05.2418,09:19]

 

>SOG:
ODE war ungefähr zwei Jahre lang hier. Er war ein sehr aufgeweckter Mensch, der alles wissen wollte. Die komplette Abkapselung dieser Gefängniszellen vom Rest der Welt sah er sehr kritisch. Das und die anderen Methoden der Regierung hat er andauernd hinterfragt. Dann hat er völlig unerwartet einfach damit aufgehört, Nachrichten zu senden. Niemand weiß, was mit ihm passiert ist. Niemand außer den Gefängniswärtern, natürlich.
[02.05.2418,09:24]

 

>ETA:
Wie könnt ihr hier leben? Jahrelang? Da wird man doch verrückt!
[02.05.2418,09:35]

 

>JYM:
Ich bin mal durchgedreht. Aber das bringt dir nichts. Irgendwann raffst du dich wieder auf. Egal ob bis dahin Tage, Wochen oder Monate vergehen. Es ändert nichts daran, dass es keinen Ausweg gibt. Täglich gibt es nur diesen einen Raum in deinem Leben. Das ist jetzt die Welt, in der du zuhause bist. Es ist ein furchtbarer Gedanke. Aber damit musst du dich anfreunden. Oder auch nicht. Es ist egal, wie du darüber denkst, es hat ohnehin keine Bedeutung.
[02.05.2418,09:52]

 

>LIA:
Lassen wir lieber dieses traurige Thema. DOR, willst du noch eine Runde Tic Tac Toe mit mir spielen?
[02.05.2418,10:31]

 

>DOR:
Natürlich! Du darfst anfangen.
[02.05.2418,10:44]

 

>LIA:
X|·|·
·|·|·
·|·|·
[02.05.2418,10:45]

 

>DOR:
X|·|O
·|·|·
·|·|·
[02.05.2418,10:46]

 

>LIA:
X|·|O
·|·|·
·|·|X
[02.05.2418,10:48]

 

>DOR:
X|·|O
·|O|·
·|·|X
[02.05.2418,10:49]

 

>LIA:
X|·|O
·|O|·
X|·|X
[02.05.2418,10:50]

 

>DOR:
X|·|O
O|O|·
X|·|X
[02.05.2418,10:50]

 

>LIA:
X|·|O
O|O|·
X|X|X
Gewonnen!
[02.05.2418,10:51]

 

>DOR:
Gratuliere!
[02.05.2418,10:52]

 

>LET:
Habt ihr den Vogel gesehen, der gerade eben vorbeigeflogen ist?
[02.05.2418,11:03]

 

>LIA:
Ja, darüber wollte ich auch gerade schreiben! Das war wirklich ein schöner Moment. Mit Abstand der beste des Tages!
[02.05.2418,11:04]

 

>LIA:
Wisst ihr noch, wann ihr das erste Mal geflogen seid?
[02.05.2418,11:05]

 

>DOR:
Ja, es war ein traumhaftes Erlebnis. Ich bin von einem Hügel abgesprungen und habe mich vom Wind ein Stück tragen lassen.
[02.05.2418,11:07]

 

>SOG:
Ich war 16 Jahre alt, als ich zum ersten Mal geflogen bin. Das war am Rand einer abgelegenen Schlucht, weit weg von zuhause. Zugegeben ein sehr riskantes Manöver, aber ich wusste, dass ich es schaffen würde. Das Gefühl der Freiheit war unbeschreiblich. Ich hatte enorm viel Platz nur für mich und bin so lange geflogen, bis ich völlig erschöpft war. Erlebnisse wie dieses vermisse ich.
[02.05.2418,11:12]

 

>JYM:
Ich bin noch nie geflogen.
[02.05.2418,11:14]

 

>ETA:
Ich bin nicht viel geflogen, nur gelegentlich habe ich ein bisschen im Wald experimentiert. Mehr als von Bäumen runterzuspringen habe ich mich nie getraut. Es wäre vielleicht sicherer gewesen, wenn ich nicht direkt neben mehreren kleinen Städten gewohnt hätte.
[02.05.2418,11:17]

 

>SOG:
Ich bin in der Großstadt Manarola aufgewachsen. Schon davon gehört? Sie ist einer Computerplatine nachempfunden. Die gesamte Infrastruktur basiert auf einem durchdachten System. Und die Transportwege leuchten in der Nacht wie Laserstrahlen.
[02.05.2418,11:24]

 

>ETA:
Das klingt wundervoll!
[02.05.2418,11:26]

 

>DOR:
Technologie ist faszinierend. Früher habe ich mit großer Begeisterung vom internationalen Weltraumlift gelesen. Ich frage mich, ob ihn die Regierung immer noch unterstützt.
[02.05.2418,11:28]

 

>SOG:
Das ist schwer zu sagen, DOR. Wir wissen ja, wie launisch die Regierung sein kann. Entweder tun sie wochenlang gar nichts, oder sie verschleudern Unmengen an Geld für irgendwelche Maßnahmen. Nicht nur dieser Weltraumlift, sondern auch unsere Festnahmen gehören da leider dazu. Die Allgemeinheit darf scheinbar nicht erfahren, dass es uns gibt. Unsere bloße Existenz würde gewissen Religionen bereits ungeahnte Macht verschaffen. Und das soll um jeden Preis verhindert werden. Merkt ihr, wie lächerlich das klingt?
[02.05.2418,11:30]

 

>ETA:
Du bist mutig genug, diese Nachricht abzusenden?
[02.05.2418,11:31]

 

>SOG:
Das hat nichts mit Mut zu tun, es ist doch wahr. Und das wissen sowohl die Wärter als auch wir.
[02.05.2418,11:31]

 

>ETA:
Es ist mutig, die Wahrheit zu sagen.
[02.05.2418,11:32]

 

>SOG:
Na gut. Da muss ich dir Recht geben.
[02.05.2418,11:33]

 

– – –

 


>ETA:
Mittlerweile glaube ich, dass es nicht mehr als drei Essensvarianten gibt.
[05.05.2418,13:41]

 

>DOR:
Das stimmt leider. Aber ich kann mich noch ganz dunkel daran erinnern, dass es vor einem Jahr noch andere Mahlzeiten gegeben hat. Die haben aber eher nach dem Putzmittel im Schrank geschmeckt, du hast also nicht viel verpasst.
[05.05.2418,13:46]

 

>ETA:
Willst du mir etwa sagen, dass du die Putzmittel hier schon probiert hast? Das war hoffentlich keine freiwillige Entscheidung.
[05.05.2418,13:50]

 

>DOR:
Nein, es war ein Versehen. Als ich die Unterseite des Waschbeckens mal gereinigt habe, ist es mir ins Gesicht getropft. SOG kann das bestätigen, ihm wäre das auch schon einmal fast passiert.
[05.05.2418,13:54]

 

>ETA:
Liest du gerade mit, SOG? Heute bist du ungewöhnlich still.
[05.05.2418,14:01]

 

>LET:
Lass ihn doch still sein. Ich schreibe auch nur selten etwas. Besonders dann, wenn ihr schon wieder über diese blöden Putzmittel schreibt.
[05.05.2418,14:06]

 

>SOG:
Es gibt keinen Grund zur Sorge. Nein, ganz im Gegenteil.
[05.05.2418,14:09]

 

>SOG:
Ich denke oft an Jungvögel, die kurz davor sind, ihr Nest zu verlassen. Wer will schon der erste sein, der abspringt? Manchmal ist viel Mut erforderlich, um diesen Schritt zu setzen.
[05.05.2418,14:10]

 

>ETA:
Das verstehe ich jetzt nicht ganz.
[05.05.2418,14:12]

 

>SOG:
Vielleicht ist es auch besser so. Dann bleibt mir mehr Zeit.
[05.05.2418,14:12]

 

>ETA:
Mehr Zeit? Wofür brauchst du mehr Zeit?
[05.05.2418,14:15]

 

>ETA:
SOG?
[05.05.2418,14:30]

 

>DOR:
Mach dir lieber nicht zu viele Gedanken über SOG. Ich bin sicher, dass bei ihm alles in Ordnung ist.
[05.05.2418,14:51]

 

>ETA:
Ja, ganz bestimmt.
[05.05.2418,14:58]

 

>LIA:
Wie wäre es mit einem Rätsel?
[05.05.2418,15:16]

 

>DOR:
Leg los!
[05.05.2418,15:18]

 

>LIA:
Ok. Was ist rund, wird von uns umkreist und wurde noch nie von einem Lebewesen berührt?
[05.05.2418,15:19]

 

>ETA:
Die Sonne?
[05.05.2418,15:25]

 

>LIA:
Richtig! Super gelöst!
[05.05.2418,15:26]

 

>ETA:
Das war ein tolles Rätsel, LIA!
[05.05.2418,15:28]

 

>JYM:
Das kannte ich schon. Immer wieder tauchen fast die gleichen Nachrichten auf. Es fühlt sich so an, als wäre ich hier schon seit einer Ewigkeit.
[05.05.2418,15:30]

 

>LIA:
JYM, bitte verbreite hier nicht ständig solche negativen Gedanken.
[05.05.2418,15:31]

 

>DOR:
Es ist in Ordnung, so zu denken. So geht JYM eben mit seiner Gefangenschaft um.
[05.05.2418,15:32]

 

>LIA:
Und ich gehe damit anders um. Ich möchte hier zumindest ein bisschen zufrieden sein können!
[05.05.2418,15:33]

 

>JYM:
LIA, du musst meine Beiträge nicht lesen, wenn sie dir nicht gefallen. Versuche es einfach mal mit dem, was ich den ganzen Tag mache. Etwas Sport.
[05.05.2418,15:35]

 

>LIA:
Ich glaube nicht, dass das mein Ding ist.
[05.05.2418,15:36]

 

>SOG:
Freiheit!
[05.05.2418,15:37]

 

 

Als ein schriller Alarm in der Ferne ertönte, blickte ETA vom Monitor auf. Was hatte das zu bedeuten? Eifrig trat sie ans Fenster, völlig unvorbereitet auf den Anblick, der auf sie wartete: Eines der gegenüberliegenden Fenstergitter fehlte. Gerade noch rechtzeitig entdeckte sie eine Gestalt, die aus der entstandenen Öffnung kletterte. Das musste SOG sein, er hatte einen Weg nach draußen gefunden! Mit offenem Mund beobachtete sie, wie er sich abstieß und wie ein Stein nach unten stürzte. Im letzten Moment breitete er seine Flügel aus und schwang sich majestätisch in die Lüfte. Geschickt glitt er über das Außengelände der Anstalt. Die Sirenen wurden lauter und zahlreicher, konnten SOG aber nicht bremsen. Wenige Augenblicke später verschwand er bereits in den Tiefen des verwilderten Dschungels.
ETA stand wie versteinert da. SOG war längst nicht mehr zu sehen, doch sie konnte sich nicht vom Fenster wegbewegen. Zu traumhaft war der Anblick des Urwaldes. Jeden Tag hatte sie in diese Richtung gestarrt, doch jetzt … erkannte sie mehr. Sie sah das Potential, das hinter dieser grünen Barriere steckte. Den Weg zu einem sicheren Ort. Die Freiheit. ETA hielt es nicht mehr aus. Sie wollte weg, raus hier! Lange genug hatte sie sich mit dem Monitor von der grauenhaften Realität abgelenkt. Das war doch keine dauerhafte Lösung. Aber es war eine Lösung, und sie funktionierte. ETA wollte nicht mit ihrem Leid alleine sein.
Es kostete ihr Überwindung, sich vom Fenster loszureißen. Sie warf einen prüfenden Blick auf den Monitor, der jedoch keine neuen Nachrichten anzeigte. Wollten die anderen etwa, dass sich keine Neuigkeiten über den Ausbruch verbreiteten? Oder waren sie ebenso geschockt von der Situation wie sie?

 

– – –

 


>ETA:
Ohne SOG ist es hier ganz anders. Was glaubt ihr, ist mit ihm passiert? Vielleicht ist er immer noch auf der Flucht.
[17.08.2418,14:47]

 

>DOR:
Das haben wir doch schon ausführlich diskutiert. Denke lieber nicht mehr daran. Es sind schon einige Monate seit seinem Ausbruch vergangen.
[17.08.2418,14:49]

 

>ETA:
Das weiß ich doch. Aber ich will wirklich wissen, ob es ihm gut geht.
[17.08.2418,14:49]

 

>LIA:
Vielleicht ist SOG wieder glücklich mit seiner Familie vereint!
[17.08.2418,14:52]

 

>JYM:
Oder sie haben ihn mittlerweile geschnappt.
[17.08.2418,14:53]

 

>ETA:
Das glaube ich nicht. Dann wäre er ja wieder zurück in seiner Zelle und könnte mit uns kommunizieren.
[17.08.2418,14:54]

 

>JYM:
Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich glaube, dass es andere Einzelzellen ohne Monitor gibt. Was glaubst du denn, wo ODE gelandet ist?
[17.08.2418,14:56]

 

>LIA:
JYM, behalte solche furchtbaren Vermutungen bitte für dich. Du machst mich ganz nervös!
[17.08.2418,14:57]

 

>JYM:
Hast du etwa Angst vor der Wahrheit, LIA?
[17.08.2418,15:00]

 

>DOR:
JYM, bitte beruhige dich und lass LIA in Ruhe. Es gibt keinen Grund, ihr mit leeren Behauptungen Angst einzujagen.
[17.08.2418,15:01]

 

>JYM:
Na gut, dann sage ich eben nichts mehr.
[17.08.2418,15:05]

 

>LET:
Bitte fangt nicht schon wieder an zu streiten!
[17.08.2418,15:07]

 

>ETA:
LET hat recht. Wir müssen zusammenhalten!
[17.08.2418,15:08]

 

>DOR:
Das sehe ich genauso. LIA, willst du zur Ablenkung ein wenig Tic Tac Toe spielen?
[17.08.2418,15:10]

 

>LIA:
Unbedingt.
·|·|·
·|·|X
·|·|·
[02.05.2418,15:12]

 

>SOG:
Ich grüße euch! LeideR habe ich nicht viel Zeit, euch diese BOtschaft zu überbringen. IcH bin deRzeit in eineR abgelegenen Stadt nEben dem Dschungel, wo ich dank eIner Sicherheitslücke in einem Überwachungscomputer diese Nachricht an euch schicken kaNn. Zum Glück hat nIemand etwas bemerkt, ihr braucht euch keine SorGen machen. Ich bin gesund und wohlauf! Jetzt muss ich abEr wieder zurück in den Urwald, wo ich ein Baumhaus als mein neues Zuhause erRichtet habe. Tschüss!
[17.08.2418,15:13]

 

 

Die Nachricht tanzte buchstäblich vor ETAs Augen. SOG hatte sich tatsächlich gemeldet. Und er hatte die vergangenen Monate im Dschungel unbeschadet überstanden! Es fühlte sich so an, als würde eine Last von ihren Schultern verschwinden. Zunächst war sie über die Anzahl der Tippfehler erstaunt, die er hinterlassen hatte. Bestimmt hatte er noch viel schneller als gewöhnlich geschrieben. Dann betrachtete sie die Buchstaben genauer. Einige davon waren großgeschrieben, obwohl sie das nicht sein sollten. Handelte es sich etwa um eine Geheimbotschaft? Aneinandergereiht ergaben die Großbuchstaben ein Wort: Rohrreiniger.
Das war die Lösung! SOG war mithilfe des Rohrreinigers entkommen. Doch wie genau hatte er das angestellt? ETA eilte zum Schrank mit den Putzmitteln und durchstöberte ihn. Schon wurde sie fündig und hielt einen Behälter in den Händen. Sie hatte ihn zwar noch nie verwendet, aber er war ihr oft ins Auge gefallen. In diesem Raum gab es eben auf Dauer nicht viele Orte, die man sich anschauen konnte. Auf dem Etikett stand, dass dieser Rohrreiniger auch besonders hartnäckige Objekte auflösen könne. ETA dachte an die Stellen des Fenstergitters, die an der Fassade montiert waren.
Flüchtig warf sie einen Blick auf den Monitor, um zu sehen, ob jemand SOG geantwortet hatte. Doch seine Nachricht war verschwunden. Nein, das durfte nicht wahr sein! Die Wärter mussten sie gelöscht haben. Ob sie den geheimen Hinweis darin entdeckt haben?
Bestimmt schöpften sie Verdacht. ETA spürte, wie sie zu zittern begann. Ihr blieb bestimmt nicht mehr viel Zeit. Was wäre, wenn sie die Kommunikationsmonitore abschalten? Das durfte nicht passieren! ETA machte einen tiefen Atemzug. Sie würde einen Weg nach draußen finden. Und zwar jenen, den SOG bereits entdeckt hatte. Das Fenstergitter besaß vermutlich Schwachstellen, die mithilfe des Rohrreinigers durchtrennt werden könnten.
Endlich bestand wieder Hoffnung. Und zwar nicht nur für ETA, sondern für alle Insassen. Im Idealfall würde sie SOG finden und mit ihm die anderen befreien. Und im schlimmsten Fall … daran sollte sie lieber nicht denken. ETA umklammerte das Reinigungsmittel, als würde ihr Leben daran hängen. Sie würde ihren Fluchtplan heute noch umzusetzen. Freiheit war in Sicht.